»rain… rain… rain…«
Ein Requiem (2023)
Then it wakens, filling my soul: a tremor of tears,
And a wild rush of emotion embracing the heavens.
Wie können wir ausgelöschten Lebens gedenken und uns gleichzeitig auf künftige Trauer vorbereiten? Anlässlich des 20. Jahrestages der Invasion im Irak öffnet das Trickster Orchestra mit der Uraufführung seines Requiems »rain… rain… rain…« einen Raum der Klage und der Trauer. Es vertont moderne bis zeitgenössische Lyrik der angesehenen Dichter Badr Shakir al-Sayyab (1926–64), dessen »Hymne des Regens« dem Requiem seinen Titel gibt, sowie Anwar Shaul (1904–84) und Sinan Antoon (*1967). Das Werk würdigt die reiche multireligiöse und multiethnische musikalische Geschichte Baghdads mit seinen klassischen Tschalgi-Ensembles aus Santur, Nay und Oud, seinem als Maqam bekannten Musiksystem und seinen Denkern, die seit dem 9. Jahrhundert nach neuen Tönen und Stimmungen suchten. Das Trickster Orchestra formt insbesondere ein mikrotonales Stimmsystem des abbasidischen Gelehrten al-Farabi zu zeitgenössischen Klangwelten und neuen Rhythmen. Mit 25 Tönen ungleicher Intervalle in einer Oktave multipliziert dieses Schriftmaterial aus dem 10. Jahrhundert die Ausdrucksmöglichkeiten der zeitgenössischen Musik.
Während das Trickster Orchestra das Werk so kulturell verortet, instrumentiert es dieses zugleich in trans-traditioneller Besetzung. So gedenkt das Ensemble mit Gästen wie dem renommierten Djoze-Virtuosen Bassem Hawar einer der ersten menschlichen und ökologischen Katastrophen des 21. Jahrhunderts aus einer transregionalen und globalen Klangperspektive. Die vergänglichen Noten musikalischer Improvisation werden zum Mittel für eine offene, ungeschriebene Form der Erinnerung, die eine tiefe Kontemplation, eine gemeinschaftliche Suche und Identifikation ermöglichen soll. Das Stück experimentiert mit Klang, um sich mit unaussprechlichen Erfahrungen anhaltender Gewalt auseinanderzusetzen. Indem die Orchestermitglieder sich frei in der Kuppelhalle bewegen und der Videokünstler Roman Hagenbrock die Lyrik im Raum animiert, reflektiert das Werk die Ortlosigkeit von Gemeinschaften, die beständig im Auflösen begriffen sind. »rain… rain… rain…« eröffnet einen emotionalen und kollektiven Raum der Trauer und des Nachdenkens über das Verstreichen der Zeit, das anhaltende Echo des Krieges für die Menschen im Irak und über nachfolgende Tragödien, die unsere globale Gegenwart prägen.
Vor dem Konzert zeigt das Orchester die Kurzfilme »Journey Inside a City« von Sarah Munaf (*1986) und »Barbershop« von Bassim al-Shaker (*1986), die sich mit den Lebens- und künstlerischen Schaffensbedingungen im Irak und Erfahrungen von Vertreibung, Diaspora und fragmentierter Gemeinschaft auseinandersetzen. Haytham Bahoora (Professor für Moderne Arabische Literatur an der University of Toronto) führt in das Konzert und das Libretto ein.
»rain… rain… rain…« lädt uns ein, über die schmerzhafte Geschichte des jungen 21. Jahrhunderts und seine möglichen Zukünfte nachzudenken und derer zu gedenken, die wir verloren haben.
Uraufführung
28.11.2023
19:30 Uhr: Filmscreening & Konzerteinführung
20:00 Uhr: Konzert
Silent Green, Berlin
Eintritt frei – Reservierungen